Hast Du dich schon mal gefragt, warum die Zeit manchmal so schnell vergeht? Vor allem, wenn Du viel zu tun hast und dir kaum Zeit bleibt, einmal durchzuatmen und alles auf dich wirken zu lassen? Ein spannendes Phänomen, das mir immer wieder auffällt. Man läuft von einer Sache zur nächsten und fragt sich am Ende des Tages, was man eigentlich alles gemacht hat. Ohne eine Systematik, mit der man seine Aktivitäten täglich nachverfolgt und rekapituliert, verliert man in unserer wahnsinnig schnelllebigen Zeit augenblicklich den Überblick. Was noch dazukommt – insbesondere zu Zeiten von Corona - verschwimmen unsere Tage ineinander. Leben ist da, wo die Arbeit ist, Arbeit ist da, wo das Leben ist und zwischendurch wird das Wohnzimmer auch noch zum Klassenzimmer, zum Fitnessstudio oder zum Wine-Tasting Venue. Wie also Erlebtes verarbeiten, wenn keine natürliche Pause zwischen den Dingen entsteht? Wie drücken wir auf die Pausetaste unseres Lebens?
Perspektivwechsel. Neulich traf ich eine alte Schulfreundin, die seit 10 Jahren ein total abgefahrenes Leben führt. Nach unseren westlichen Standards ein komplett Unkonventionelles. Sie liebt Sport, Animation und Reisen und hat somit schon während ihres Sportstudiums Gruppenreisen für Jugendliche begleitet – ob Skifahren, Surfcamp oder USA Touren, Hauptsache unterwegs. Diese Leidenschaft lebt sie auch nach dem Studium weiter aus. Ob wochenlange Tracking-Touren in Schweden oder Rafting-Abenteuer in Kanada, sie lässt nichts aus. Aber vor allem ihre Branche wurde von der Corona-Krise hart getroffen, sodass sie kurzerhand nach Deutschland zurückkehren musste. Vorbei der Traum von der Tiny-House Siedlung irgendwo im nirgendwo im kanadischen Outback.
Hier hat sie sich nun zum ersten Mal in ihrem Leben einen Job gesucht, bei dem sie einen Arbeitsvertrag unterschrieb, der mehr als nur eine Saison andauern sollte. Zwar ist es nach wie vor ein sportlicher Job in der Tourismusbranche, aber an Tagen mit schlechtem Wetter muss sie sogar ins Büro. Ins Büro?!!! Und Urlaub beantragen. Was ist das?
Sie hat sich gut eingefunden und sich mittlerweile auch an die Routine gewöhnt. Aber was sie dann sagte, als sie so von ihren Erfahrungen der letzten Monate berichtete, verblüffte mich: „Seitdem ich in dem „Trott“ arbeite, habe ich das Gefühl, die Zeit verfliegt total. Jeder Tag geht in den anderen über, ich verliere den Überblick, was an welchem Tag war und was ich letzte Woche gemacht habe. Alles ist so gleich und unaufregend. Als ich Reisen war und unterwegs gearbeitet habe, verging die Zeit viel langsamer. Ich konnte mich immer genau daran erinnern, was ich wann gemacht habe.“
Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Denn wenn ich an meine Reisen denke, verflog die Zeit im Urlaub mindestens genauso schnell wie zu Hause. Gerade mental im Urlaub angekommen, ist er auch schon wieder vorbei. Bei mir verschwimmen dann eher die Tage im Urlaub, sodass ich nicht mehr weiß, ob Montag oder Samstag ist und an welchem Tag ich was gemacht habe. Die Frage ist, ist das im Urlaub überhaupt relevant? Macht es nicht den Charme des Urlaubs aus, dass man eben nicht weiß, wann man was gemacht hat? Brauchen wir nicht den Urlaub, um Entschleunigung in unser Leben zurückzubringen? Urlaub quasi als Flucht vor unserem Leben?
Was der Unterschied meiner Freundin zu vielen anderen ist – sie lebt normalerweise ein Leben, bei dem sie genau das macht, was sie liebt. Sie genießt jeden Moment, jeden Eindruck, jede Reise. Sie hat eine deutlich reduzierte Reizintensität, wenn sie wochenlang im Outback von Kanada lebt und Touren führt. Was dort zählt, ist die Natur und die Interaktion mit den Teilnehmern. Und die Teilnehmer? Denen geht es vermutlich wie vielen von uns – Hauptsache mal raus, und zwar ganz ohne E-mails, Whatsapp und dem Chaos und Lärm der Großstadt. Sie fliehen. In das Leben, das meine Freundin lebt. Warum werden solche Touren immer beliebter? Einsamkeit suchen und genießen. Stille. Abgeschiedenheit. Ruhe. Seelenfrieden.
Flucht vor … ja vor was eigentlich. 12 Wochen Working out loud sind rum. 12 Wochen. Das ist eine verdammt lange Zeit, vor allem rückblickend und gekoppelt an die Zahl 12. Als ich mittendrin war, fühlte sich das irgendwie anders an. Überschattet durch die Hektik meines Alltags, meinen zahllosen To Do’s und persönlichen Ansprüchen. Und dem Wunsch, der potenziellen Einsamkeit dieser besonderen Zeit vorzubeugen oder ihr zu entfliehen.
Und genau das ist vermutlich der Punkt. Wir fliehen vor unseren Gefühlen. Vor dem Stimmengewirr in unserem Kopf, das uns schon fast anschreit, ihnen endlich zuzuhören. Wir laufen von einem Ding zum Nächsten. Ohne Pause, ohne Luftholen, ohne ein kurzes Anhalten. Dadurch hat unser Gehirn keine Chance, die Abläufe überhaupt zu realisieren, geschweige denn zu verarbeiten. Wir schalten auf Automatismus, auf Tun-Modus. Für reflexive Gedanken ist da kein Platz. Und dann wundern wir uns, dass schon wieder ein Jahr verflogen ist und wir unseren Träumen und Zielen nicht nähergekommen sind. Oder schon wieder ein Jahr im verhassten Job verbracht haben, der uns täglich langweilt oder stresst, uns auslaugt und missmutig macht.
Zudem waren die letzten Monate kaum unterbrochen durch soziale oder gesellschaftliche Aktivitäten, da sie schlichtweg nicht erlaubt waren. Diese geben uns normalerweise die Möglichkeit, wenigstens anhand des Kalenders zu checken, wo eigentlich die Zeit geblieben ist. Und suggerieren somit ein Gefühl der Zufriedenheit. Irgendwas geht ja immer. Aber jetzt? Die Zeit ergibt im Verhältnis zu den Ereignissen einen Syntax ERROR. Systemfehler. Nicht verarbeitbar. Die Folge sind unliebsame Gedanken, Unzufriedenheit, Selbstmitleid, Einsamkeit, depressive Verstimmungen. Ein Einzelphänomen ist das nicht.
Ich habe schon lange keine Lust mehr, das Bedürfnis zu haben, aus Erschöpfung oder Reizüberflutung meinem Alltag entfliehen zu müssen. Denn das, womit ich jeden Tag verbringe, soll mich ausfüllen, glücklich und zufrieden machen. Aber woher weiß ich, was das ist, wenn ich es mir nicht plakativ mache?
Das mache ich jetzt anders. Was ich durch WOL lernen durfte ist simpel und doch so bedeutend. Denn anstatt eins nach dem anderen abzuarbeiten, ohne persönliche KPI’s und der Chance, meinen Fortschritt überhaupt zu verfolgen, setze ich mir nun halbjährliche Ziele. Und verfolge diese, indem ich mir für jeden Monat Teilziele definiere und täglich reflektiere, ob und wie viel ich an diesen Zielen gearbeitet habe.
Und – was für mich noch viel wichtiger ist – ich nehme mir bewusste Auszeiten. Über eine Zeit habe ich meinen persönlichen Biorhythmus getrackt und festgestellt, wann ich am leistungsfähigsten bin und wann eben auch nicht. Und wenn meine Energiekurve meinem normalen Biorhythmus mal nicht entspricht, habe ich gelernt, auf die Zeichen meines Körpers zu hören. So begegne ich mir jeden Tag mit mehr wohlwollen und kann so meine Energie effektiver nutzen. Und die Zeiten mit weniger Energie genießen und zu schöpferischen Auszeiten umwandeln. Einfach mal auf die Pausetaste drücken also. Entschleunigung in den Alltag bringen.
Darüber hinaus habe ich eine Routine etabliert, mit der ich morgens feststellen kann, welche Aufgaben ich am Tag angehen werde. Dafür habe ich – wie im Scrum – zweiwöchentliche Sprints definiert und die notwendige Zeit dafür hinterlegt. Ich plane dann immer für eine Woche meine Aufgaben, schaue aber jeden Morgen, ob die Aufgaben tatsächlich zu meinem Energielevel passen und ob dringlichere Themen unvorhergesehen aufgetaucht sind. So gebe ich mir selbst Flexibilität, stelle jedoch trotzdem sicher, dass ich auch die eher unliebsamen Dinge innerhalb dieser zwei Wochen abarbeite. Denn zum Erfolg gehören eben auch diese Dinge und ein gewisser Weitblick ist dabei unabdingbar.
Und was dabei unfassbar wichtig ist; am Ende jeden Tages schaue ich, welche Ziele ich erreicht habe und – falls nicht – was ich am nächsten Tag anders machen könnte. Zudem nehme ich mir am Ende der Woche eine Stunde Zeit, um meine Erfolge der letzten Woche zu feiern; “pause – rewind – repeat”. Dabei belohne ich mich mit einer guten Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen. Damit beende ich feierlich die Woche und kann zufrieden in das Wochenende starten. Mit der Gewissheit, dass nächste Woche Zeit sein wird, das zu erledigen, was ich diese Woche nicht geschafft habe, denn auch die neue Woche plane ich genau. Danach genieße ich bewusst meine Auszeit, halte an, gebe die Disziplin der Woche ab, lass‘ los und öffne mich für die Geschehnisse des Wochenendes. Und freue mich dabei auch schon wieder auf die neue Woche.
Inspiriert und angeregt? Das freut mich. Mach dein Leben lebenswert.
Schön, dass es dich gibt.
Deine Merle
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